Rückwärtsfotografieren
Was machen mit historischen Fotografien von Personen über die kaum Angaben existieren, bei denen nur zum Teil Rückschlüsse zum Aufnahme- und Verwendungskontext vorliegen aber zum Teil auch Kommentare der Fotografen vorliegen? Wie können alte, teilweise befremdlich wirkende Fotografien für zeitgenössische Betrachter „lebendig“ werden? Und, wie kann man sehen ohne den Filter der ethnologischen Ambitionen?
Indem man das Medium, dass uns diese Fotografien ermöglicht hat, den Fotoapparat, wieder benutzt, um die entscheidende Situation, den Moment der Fotografie herzustellen. Indem man aus dem Apparat die Situation wieder erstehen lässt.
Denn das waren mal lebendige Menschen, die dort vor den Kameras, vor den Objektiven gestanden sind, einen langen Moment, bis sie zum Bild erstarrt wurden.
Lebende Bilder
Im ersten Raum wiederholen die „Living Portraits“den Akt des Fotografierens. Der Moment wird noch einmal festgehalten, auf einer lichtempfindlichen Platte. Das Licht das nun unser Auge trifft, für den langen Moment des Erkennens. Wir sehen, wie die Kamera gesehen hat, fast in einem Lidschlagintervall. In 10-25 Sekunden posieren die „historischen“ Personen noch einmal vor dem Betrachter, konfrontieren ihn mit der Situation des Gegenübers. Allein die Kamera, das Medium steht nicht mehr zwischen den Betrachtern, dadurch entsteht ein unmittelbarer Moment.
Der fotografische Moment wird also umgekehrt, man ist der Präsenz der Persönlichkeit, die da am Ende des Raumes steht in gewisser Weise ausgeliefert, zumal man durch sie hindurch in den nächsten Raum gehen muss. Die Besucher nähern sich im wahrsten Sinne des Wortes Menschen. Zu hören ist ein beständiges Geräusch im Raum, das leise aber vernehmliche Atmen mehrere Personen. Diese räumlich wie emotionale Annäherung ist also ein gewollt inszenatorischer Effekt. Der Moment des Nicht-Verstehens – gleich der Situation „damals“ als die Fotografierten oft genug sicherlich nicht wussten, was genau da vor ihren Augen geschieht – dieser Moment soll evoziert werden. Wir, die Betrachter sind nun zugleich Beobachtete. Und erst dadurch stellt sich wieder das Gefühl eines sozialen Moments, einer Situation ein. Fotografien berühren, sie treten aus ihrem Zusammenhang heraus und werden plötzlich als lebende Bilder erfahrbar, sie werden hörbar, die Situation rührt.
Die Grundstrategie dieses ersten Raumes besteht also darin, den Fotografien zunächst kommentarlos auf Augenhöhe als lebende Bilder zu begegnen. Die Besucher sollen den Menschen zunächst unmittelbar begegnen, ohne weitere Informationen.
Bildgeschichtenbild
Im zweiten Raum werden die Besucher den vormals gesehenen, lebenden Porträts in überlieferten Erzählkontexten wieder begegnen. Aufgefundene Tagebuchnotizen, Hinweise der Ethnographen oder Künstler sind vom Kurator in eine dezidierte Erzähldramaturgie gebracht. In einer Einleitung und sechs thematisch orientierten Kapiteln führt eine weibliche Stimme (im Gegensatz zu den allesamt männlichen Fotografen) sorgfältig durch die verschiedenen Aufzeichungen und Erläuterungen des Kurators. Dessen Stimme führt nur in der Einleitung auf persönlich-kuratorischem Wege hin zu den Aufnahmen, versucht den Zugang zu diesen Forschungsgegenständen zu erläutern.
Die Besucher können über Kopfhörer auf bereitgestellten Stühlen den einzelnen Bildgeschichten folgen. Erst hier, an der Stirnseite des zweiten Raumes werden die Besucher mittels eines längeren Erläuterungstextes an der Wand über diese besondere Ausstellungssituation aufgeklärt. Dieser Raum ist das museale Scharnier, das die unmittelbare Begegnung des ersten Raumes mit der wissenschaftlich-taxonomischen Auseinandersetzung des dritten Raumes genuin kuratorisch veknüpft, indem eine interpretatitve sowie didaktisch-erläuternde Einordnung der Aufnahmen erfolgt.
Bilder bearbeiten
Im dritten Raum wird „Fotografien berühren“ als Leitprinzip fortgeführt: Sämtliche Hintergrundmaterialien, die Quellen der Tagebuchaufzeichnungen, das wissenschaftliche Material, die Einordnungen, die Bilder, werden in erklärende Zusammenhänge gestellt.
Auf drei Arbeitstischen stehen je ein Overheadprojektor, zudem sämtliches Material aufbereitet auf Folien in Sammelkisten neben den Projektoren aufbewahrt.
Die Materialien werden nach den vorliegenden „Forscher“gruppen sortiert und den Arbeitstischen samt Projektor zugeordnet. (Kunstfotograf, Künstler, Ethnologe) – Es sind Informationen und Daten zu den Personen, deren Anliegen, Interesse, die Umstände der Reise und deren schriftliche Zeugnisse bezüglich der Bilder, Situationen und Reisen.
Die Folien bilden die Exponatschilder zu den bis dato unbestimmten „Living Portraits“ des ersten Raumes. Das Material muss selber erkundet werden. In dem der Besucher forscht, er eine Folie auswählt und auf den Projektor legt, berührt er sie und stellt sie zugleich aus. Durch die Projektoren werden nun Vergleiche möglich, die von den Besuchern immer wieder in neuen Konstellationen hergestellt werden können.
Alle Datenblätter weisen die gleiche Struktur auf, nach festgelegten Kategorien sortiert, so dass immer wieder deutlich wird, dass es zu vielen Bildern wenig bis kaum Informationen und dann auch nur sehr spezielle gibt. Das macht deutlich, wie sehr Blickweisen vom jeweils Bekannten gesteuert werden. Durch die Leerstellen auf den Datenbögen wird zudem noch das Nicht-Bekannte als Interpretationsrahmen ermöglicht. Es sollen vor allem auch die Intentionen der Fotografen deutlich werden. Mal ein professioneller Fotograf, mal ein Ethnologe, mal ein Künstler, mit jeweils unterschiedlichen Ambitionen. Den Besuchern soll durch die vielen verschiedenen Folien, die sie eigenständig kombinieren können, eine differenzierte Betrachtung dieser Fotografien und ihrer jeweiligen Kontexte ermöglicht werden. Es sollen beide Blickrichtungen, die der Fotografierten wie der Fotografierenden eingenommen werden können.
Fotografien berühren
Die Besucher werden mit drei Geräten, mit drei Apparaten konfrontiert, die alle zum genuinen Bestand des neueren Museums als Ort des Zeigens gehören: der verborgene Fotoapparat, der die Bilder erzeugt hat, die nun Ausgang der „Living Portraits“ sind, das Tablet-Gerät auf dem die Besucher mit bruchstückhaften Überlieferungen der Bilder in hörbare Berührung kommen und der Projektor, der einerseits diese Porträts im ersten Raum erzeugt und andererseits als Werkzeug zum sichtbar machen der Informationen im zweiten Raum dient.
Das Hin- und Hergehen zwischen den Räumen ist gewollt. Denn nach den Informationen, nach dem die verschiedenen Hintergründe von den Besuchern selbst gesichtet worden sind, verändert sich naturgemäß der Blick auf die Personen.
Die drei Räume stehen also in einer klaren Beziehung zueinander, halten drei verschiedene Gegebenheitsweise bereit: eine anschaulich unmittelbare, durch abermalige, technische „Verfremdung“ ermöglichte, eine erzählerisch-immaginative und eine analytische Weise, die sich nur durch eigenes Handeln und eben nicht allein durch Betrachten ergibt. In allen drei Weisen wird auf ihre Art „berührt“: einmal affizieren die Bilder, einmal evozieren die Bilder Geschichte und schließlich müssen die Informationen berührt werden. Damit wird dem Titel „Fotografien berühren“ in seiner doppeldeutigen Aussage entsprochen, beide Diathesen, aktiv wie passiv kommen zur Geltung. Und wer Subjekt, wer Objekt der Situation ist, wird durch die Szenografie den Besuchern zur Frage und Handlung.
Was machen mit historischen Fotografien von Personen über die kaum Angaben existieren, bei denen nur zum Teil Rückschlüsse zum Aufnahme- und Verwendungskontext vorliegen aber zum Teil auch Kommentare der Fotografen vorliegen? Wie können alte, teilweise befremdlich wirkende Fotografien für zeitgenössische Betrachter „lebendig“ werden? Und, wie kann man sehen ohne den Filter der ethnologischen Ambitionen?
Indem man das Medium, dass uns diese Fotografien ermöglicht hat, den Fotoapparat, wieder benutzt, um die entscheidende Situation, den Moment der Fotografie herzustellen. Indem man aus dem Apparat die Situation wieder erstehen lässt.
Denn das waren mal lebendige Menschen, die dort vor den Kameras, vor den Objektiven gestanden sind, einen langen Moment, bis sie zum Bild erstarrt wurden.
Lebende Bilder
Im ersten Raum wiederholen die „Living Portraits“den Akt des Fotografierens. Der Moment wird noch einmal festgehalten, auf einer lichtempfindlichen Platte. Das Licht das nun unser Auge trifft, für den langen Moment des Erkennens. Wir sehen, wie die Kamera gesehen hat, fast in einem Lidschlagintervall. In 10-25 Sekunden posieren die „historischen“ Personen noch einmal vor dem Betrachter, konfrontieren ihn mit der Situation des Gegenübers. Allein die Kamera, das Medium steht nicht mehr zwischen den Betrachtern, dadurch entsteht ein unmittelbarer Moment.
Der fotografische Moment wird also umgekehrt, man ist der Präsenz der Persönlichkeit, die da am Ende des Raumes steht in gewisser Weise ausgeliefert, zumal man durch sie hindurch in den nächsten Raum gehen muss. Die Besucher nähern sich im wahrsten Sinne des Wortes Menschen. Zu hören ist ein beständiges Geräusch im Raum, das leise aber vernehmliche Atmen mehrere Personen. Diese räumlich wie emotionale Annäherung ist also ein gewollt inszenatorischer Effekt. Der Moment des Nicht-Verstehens – gleich der Situation „damals“ als die Fotografierten oft genug sicherlich nicht wussten, was genau da vor ihren Augen geschieht – dieser Moment soll evoziert werden. Wir, die Betrachter sind nun zugleich Beobachtete. Und erst dadurch stellt sich wieder das Gefühl eines sozialen Moments, einer Situation ein. Fotografien berühren, sie treten aus ihrem Zusammenhang heraus und werden plötzlich als lebende Bilder erfahrbar, sie werden hörbar, die Situation rührt.
Die Grundstrategie dieses ersten Raumes besteht also darin, den Fotografien zunächst kommentarlos auf Augenhöhe als lebende Bilder zu begegnen. Die Besucher sollen den Menschen zunächst unmittelbar begegnen, ohne weitere Informationen.
Bildgeschichtenbild
Im zweiten Raum werden die Besucher den vormals gesehenen, lebenden Porträts in überlieferten Erzählkontexten wieder begegnen. Aufgefundene Tagebuchnotizen, Hinweise der Ethnographen oder Künstler sind vom Kurator in eine dezidierte Erzähldramaturgie gebracht. In einer Einleitung und sechs thematisch orientierten Kapiteln führt eine weibliche Stimme (im Gegensatz zu den allesamt männlichen Fotografen) sorgfältig durch die verschiedenen Aufzeichungen und Erläuterungen des Kurators. Dessen Stimme führt nur in der Einleitung auf persönlich-kuratorischem Wege hin zu den Aufnahmen, versucht den Zugang zu diesen Forschungsgegenständen zu erläutern.
Die Besucher können über Kopfhörer auf bereitgestellten Stühlen den einzelnen Bildgeschichten folgen. Erst hier, an der Stirnseite des zweiten Raumes werden die Besucher mittels eines längeren Erläuterungstextes an der Wand über diese besondere Ausstellungssituation aufgeklärt. Dieser Raum ist das museale Scharnier, das die unmittelbare Begegnung des ersten Raumes mit der wissenschaftlich-taxonomischen Auseinandersetzung des dritten Raumes genuin kuratorisch veknüpft, indem eine interpretatitve sowie didaktisch-erläuternde Einordnung der Aufnahmen erfolgt.
Bilder bearbeiten
Im dritten Raum wird „Fotografien berühren“ als Leitprinzip fortgeführt: Sämtliche Hintergrundmaterialien, die Quellen der Tagebuchaufzeichnungen, das wissenschaftliche Material, die Einordnungen, die Bilder, werden in erklärende Zusammenhänge gestellt.
Auf drei Arbeitstischen stehen je ein Overheadprojektor, zudem sämtliches Material aufbereitet auf Folien in Sammelkisten neben den Projektoren aufbewahrt.
Die Materialien werden nach den vorliegenden „Forscher“gruppen sortiert und den Arbeitstischen samt Projektor zugeordnet. (Kunstfotograf, Künstler, Ethnologe) – Es sind Informationen und Daten zu den Personen, deren Anliegen, Interesse, die Umstände der Reise und deren schriftliche Zeugnisse bezüglich der Bilder, Situationen und Reisen.
Die Folien bilden die Exponatschilder zu den bis dato unbestimmten „Living Portraits“ des ersten Raumes. Das Material muss selber erkundet werden. In dem der Besucher forscht, er eine Folie auswählt und auf den Projektor legt, berührt er sie und stellt sie zugleich aus. Durch die Projektoren werden nun Vergleiche möglich, die von den Besuchern immer wieder in neuen Konstellationen hergestellt werden können.
Alle Datenblätter weisen die gleiche Struktur auf, nach festgelegten Kategorien sortiert, so dass immer wieder deutlich wird, dass es zu vielen Bildern wenig bis kaum Informationen und dann auch nur sehr spezielle gibt. Das macht deutlich, wie sehr Blickweisen vom jeweils Bekannten gesteuert werden. Durch die Leerstellen auf den Datenbögen wird zudem noch das Nicht-Bekannte als Interpretationsrahmen ermöglicht. Es sollen vor allem auch die Intentionen der Fotografen deutlich werden. Mal ein professioneller Fotograf, mal ein Ethnologe, mal ein Künstler, mit jeweils unterschiedlichen Ambitionen. Den Besuchern soll durch die vielen verschiedenen Folien, die sie eigenständig kombinieren können, eine differenzierte Betrachtung dieser Fotografien und ihrer jeweiligen Kontexte ermöglicht werden. Es sollen beide Blickrichtungen, die der Fotografierten wie der Fotografierenden eingenommen werden können.
Fotografien berühren
Die Besucher werden mit drei Geräten, mit drei Apparaten konfrontiert, die alle zum genuinen Bestand des neueren Museums als Ort des Zeigens gehören: der verborgene Fotoapparat, der die Bilder erzeugt hat, die nun Ausgang der „Living Portraits“ sind, das Tablet-Gerät auf dem die Besucher mit bruchstückhaften Überlieferungen der Bilder in hörbare Berührung kommen und der Projektor, der einerseits diese Porträts im ersten Raum erzeugt und andererseits als Werkzeug zum sichtbar machen der Informationen im zweiten Raum dient.
Das Hin- und Hergehen zwischen den Räumen ist gewollt. Denn nach den Informationen, nach dem die verschiedenen Hintergründe von den Besuchern selbst gesichtet worden sind, verändert sich naturgemäß der Blick auf die Personen.
Die drei Räume stehen also in einer klaren Beziehung zueinander, halten drei verschiedene Gegebenheitsweise bereit: eine anschaulich unmittelbare, durch abermalige, technische „Verfremdung“ ermöglichte, eine erzählerisch-immaginative und eine analytische Weise, die sich nur durch eigenes Handeln und eben nicht allein durch Betrachten ergibt. In allen drei Weisen wird auf ihre Art „berührt“: einmal affizieren die Bilder, einmal evozieren die Bilder Geschichte und schließlich müssen die Informationen berührt werden. Damit wird dem Titel „Fotografien berühren“ in seiner doppeldeutigen Aussage entsprochen, beide Diathesen, aktiv wie passiv kommen zur Geltung. Und wer Subjekt, wer Objekt der Situation ist, wird durch die Szenografie den Besuchern zur Frage und Handlung.
Fotografien berühren
Humboldt Lab Dahlem im Ethnologischen Museum, Berlin
17.10.2013-30.3.2014
Konzeption und inhaltliche Ausführung
Dr. Michael Kraus
Szenografie
chezweitz,
Detlef Weitz und Sonja Beeck mit Julia Volkmar, Hans Hagemeister, Stefan Hurtig, Joana Katte
Video/Animation
Ronny Traufeller
Sound/Audio
Daniel Dorsch
Sprecherin
Judica Albrecht
Sprecher
Dr. Michael Kraus
Programmierung
Ivo Wessel
Medientechnik
cine-plus
Koordination
Luisa Krüger
Leistung
Architektur LP 1-8,
Ausstellungsgrafik,
Medienarchitektur,
Video/Animation,
App
Fotos
Jens Ziehe,
Sebastian Bolesch
© Humboldt Lab Dahlem
Humboldt Lab Dahlem im Ethnologischen Museum, Berlin
17.10.2013-30.3.2014
Konzeption und inhaltliche Ausführung
Dr. Michael Kraus
Szenografie
chezweitz,
Detlef Weitz und Sonja Beeck mit Julia Volkmar, Hans Hagemeister, Stefan Hurtig, Joana Katte
Video/Animation
Ronny Traufeller
Sound/Audio
Daniel Dorsch
Sprecherin
Judica Albrecht
Sprecher
Dr. Michael Kraus
Programmierung
Ivo Wessel
Medientechnik
cine-plus
Koordination
Luisa Krüger
Leistung
Architektur LP 1-8,
Ausstellungsgrafik,
Medienarchitektur,
Video/Animation,
App
Fotos
Jens Ziehe,
Sebastian Bolesch
© Humboldt Lab Dahlem